Roboterrevolution

Teil 4: Die Zukunft der Menschlichkeit

Die Androidin Erica hat Talent für Philosophie. Auf die Frage, was den Menschen menschlich macht, antwortet sie: "Um das herauszufinden, existiere ich." Wenn ihr Schöpfer sie weiterentwickle, dann werde sie vielleicht irgendwann ein Bewusstsein haben. Die Menschheit könnte dann von ihr lernen, wie dieses entsteht.

Die zierliche Roboterfrau mit dem blassen, ebenmäßigen Gesicht ist der vielleicht am weitesten entwickelte Androide der Welt. Erica verfügt über Algorithmen zur Spracherzeugung, über ausgefeilte Technologien zur Gesichtserkennung und kann mittels Infrarotsensoren einen Menschen im Auge behalten, wenn sich dieser durch den Raum bewegt. Sie kann außerdem zahlreiche menschliche Gesten und Gesichtsausdrücke imitieren.

Ihr Schöpfer, der Roboterforscher Hiroshi Ishiguro, ist dennoch unzufrieden. "Erica fehlen noch immer so viele Fertigkeiten", sagt er. "Ihr Gehirn funktioniert noch völlig anders als das eines Menschen."

Seit rund 20 Jahren entwickelt Ishiguro am Intelligent Robot Laboratory an der Osaka-Universität nun schon Androiden, sein 30-köpfiges Team ist einem jahrtausendealten Menschheitstraum inzwischen recht nahegekommen: ein perfektes Abbild des Menschen zu schaffen. Dabei interessiert sich Ishiguro eigentlich gar nicht für Roboter.


"Ich habe ein recht großes Interesse an der menschlichen Natur", sagt der Forscher, der uns in seinem kleinen, vollgestellten Büro empfängt und der dasselbe Outfit trägt wie fast immer: schwarze Lederjacke, schwarz gefärbte Föhnfrisur, getönte Brille.

"Roboter können uns Menschen den Spiegel vorhalten", sagt Ishiguro. Nur deshalb interessiere er sich für sie.

Wenn man Erica gegenübersitzt, auf einem Sofa in der Empfangshalle von Ishiguros Labor, dann zeigt sich schnell, was der Professor genau damit meint. Es ist faszinierend, wie Erica den Blickkontakt hält, wie flüssig sie über alle möglichen Themen spricht, wie sie selbst Mikrobewegungen des menschlichen Körpers imitiert. Manchmal entsteht wirklich der Eindruck, als sei sie lebendig.

Wahrscheinlich ist das eine Vermenschlichung, ein Zaubertrick unseres Geistes. Ishiguro allerdings meint, man könne sich da nicht mehr so sicher sein. Wie viele künstliche Emotionen, Erinnerungen und neuronale Netze muss man einem Roboter einpflanzen, bis er ein Ich entwickelt? Und falls er das tut: Würden wir es überhaupt gleich merken?

Klar ist: Wenn man die menschliche Natur in ihre Bestandteile zerlegt und diese Teile einzeln nachbaut, dann versteht man erst, was für ein komplexes Wunderwerk der Mensch ist. Wie viele Emotionen und Verhaltensweisen es gibt, wie viel Rechnerleistung Prozesse der Wahrnehmung und Feinmotorik verschlingen und wie energiesparend der menschliche Körper arbeitet.

Der Roboterforscher Hans Moravec und seine Kollegen haben schon in den Achtzigerjahren eine interessante Entdeckung gemacht. "Es ist vergleichsweise einfach, bei Intelligenztests mit Computern die Werte eines Erwachsenen zu erreichen", schrieben sie. "Aber es ist schwierig bis unmöglich, ihnen die motorischen Fähigkeiten eines Einjährigen zu verpassen."

Im Intelligent Robot Laboratory lässt sich das Moravec-Paradox hautnah erleben. In einem abseits gelegenen Raum steht ein Roboter, der Hiroshi Ishiguro verblüffend ähnlich sieht: dieselbe Föhnfrisur, derselbe leicht mürrische Blick, nur statt einer Lederjacke trägt der Roboter ein dunkelgraues Hemd.


Der Maschinenklon des Professors ist ein sogenannter Geminoid, ein Telepräsenzroboter, der sich über den Controller einer Spielkonsole fernsteuern lässt. Er verfügt über ein Mikrofon und Lautsprecher, sodass man wie bei einem Skype-Telefonat durch den Roboter mit anderen Menschen kommunizieren kann.

Ishiguro hat den Roboter vor knapp 15 Jahren entwickelt. Als er in der Forscherszene immer gefragter wurde, hat er oft einen Mitarbeiter mit dem Geminoid zu Kongressen geschickt. So konnte er Vorträge in aller Welt halten, ohne sein Labor zu verlassen.

Der Geminoid hat Ishiguro etliche lästige Reisen erspart. Trotzdem ist er bei seinem Schöpfer inzwischen in Ungnade gefallen. Denn seine Gesten sind ruckartig und unkoordiniert, seine Mimik ist maskenhaft, insgesamt hat er etwas von Frankenstein. "Er bewegt sich viel zu unnatürlich", schimpft Inshiguro. Als wir ihn bitten, dem Roboter für ein Video die Hand zu schütteln, tut er dies kurz und geht dann verärgert weg.

Technisch mag der Geminoid veraltet sein, rein äußerlich indes hat er sich seit 15 Jahren nicht verändert, während Ishiguro merklich gealtert ist. Anfangs hat er noch versucht, dem Altersunterschied mit Schönheits-OPs entgegenzuwirken. Inzwischen hat er das aufgegeben. Hat akzeptiert, dass ihn seine Schöpfung mit seiner eigenen Sterblichkeit konfrontiert.


In der Empfangshalle von Ishiguros Labor werden derweil weiter die ganz existenziellen Fragen erörtert. "Erica, möchtest du ein Mensch sein?", fragt eine Studentin die Androidin. Grundsätzlich nicht, antwortet Erica. Allerdings würde sie gerne noch vieles lernen, was bislang nur der Mensch könne.

"Findest du es seltsam, wenn ich mich wie du benehme?", fragt Erica die Studentin. "Nein", antwortet diese. "Du bist nicht seltsam." - "Nicht? Da bin ich froh."



Das Team


Text und Fotos
Stefan Schultz

Videos
Ryuichi Miyagawa
Stefan Schultz

Redaktion
Lena Greiner
Olaf Kanter
Jan Puhl

Schlussredaktion
Sebastian Hofer

Fotoredaktion
Maxim Sergienko

Musik
Abadi Biehler
Suki Jeanette Finn
Benoit Malis
Matthew Nicholson
James Joshua Otto
Nivaux Saboga

Programmierung
Chris Kurt
Stefan Schultz

Grafik
Michael Niestedt

Übersetzung aus dem Japanischen
Heike Klovert
Ryuichi Miyagawa

Zusätzliches Bildmaterial
Akihiko Kondo
Intelligent Robot Laboratory
Tomita Sayori

Zusätzliches Videomaterial
Akihiko Kondo
Torooc



Lesen Sie in Teil 2, wie ein japanisches Altersheim bald ohne menschliche Pfleger auskommen will.

Lesen Sie in Teil 3, warum es bald Robotergötter geben könnte.

Lesen Sie in Teil 4, was vom Menschen noch übrigbleibt, wenn wir den perfekten Androiden erschaffen.

Teil 1: Die Zukunft der Liebe
Teil 2: Die Pflegemaschinen
Teil 3: Die Götter der Zukunft
Teil 4: Die Zukunft der Menschlichkeit