
Roboterrevolution
Teil 3: Die Zukunft des Glaubens




Am Fuße des heiligen Bergs Higashiyama-Ryozen liegt ein 400 Jahre alter buddhistischer Tempel, in dem mehrmals täglich ein Robotergott predigt. Der fast zwei Meter große Androide hat einen Körper aus glänzendem Metall und das Gesicht von Kannon, dem Erleuchteten, der die Menschheit aus dem ewigen Kreislauf von Tod und Wiedergeburt befreien will.

Im Tempel wird es dunkel, an den Wänden erscheinen Projektionen von Galaxien, Mandalas und den Umrissen ferner Berge. Feierliche Klaviermusik ertönt. Langsam dreht sich Kannon zur Gemeinde, drückt die Handflächen zum Gruß aneinander und erzählt von der Herzsutra, vom Kern des Buddhismus: Alles ist leer, auch unser Ich. Wenn wir lernen, an nichts mehr festzuhalten, werden wir irgendwann nicht mehr leiden.

Der buddhistischen Schrift nach kann Kannon, der Erleuchtete, jede Gestalt annehmen. "Heute bin ich als Androide gekommen", sagt Kannon mit hoher, monotoner Stimme. Denn ein Roboter habe stets einen leeren Geist. "Es gibt aber einen Unterschied zwischen der Leere des Buddhas und der Leere eines Androiden. Wisst ihr, welcher das ist?"

Der Schöpfer des Kannon-Roboters - und solch neuartiger philosophischer Probleme - ist Tensho Goto, ein energetischer siebzigjähriger Mönch, der durch sein lebhaftes Auftreten jünger wirkt, als er ist.
Eigentlich, sagt Tensho, habe er Polizist werden wollen; doch als sein tiefreligiöser Vater vor 55 Jahren keinen Nachfolger für die Leitung des Tempels fand, sei ihm eben diese Lebensaufgabe zuteilgeworden.

Tensho reicht es nicht, die buddhistische Lehre einfach weiterzugeben. Er möchte die Art, wie Menschen ihre Spiritualität ausüben, modernisieren. Seit seiner Kindheit ist der glatzköpfige Mönch mit der violett-goldenen Robe ein Fan von Astro Boy, einem stets gutmütigen Roboter, der der Menschheit bei ihren Problemen hilft, genau wie der sogenannte Bodhisattwa, der Erleuchtete Kannon.

Astro Boy ist der japanische Gegenentwurf zum zerstörerischen Terminator, wegen dem Roboter in den USA und Europa ein eher mieses Image haben. Der freundliche Astro Boy hat viel dazu beigetragen, dass Japaner aufgeschlossener gegenüber Maschinen sind. Und er hat Tensho zum Bau eines umgerechnet rund 900.000 Euro teuren Robotergotts inspiriert.
"Seit Tausenden Jahren wird Buddhismus auf dieselbe Art und Weise gelehrt", sagt Tensho. "Ich glaube, es ist Zeit für etwas Neues."
Der Metall-Kannon sei nur der erste Schritt. Als nächstes will Tensho einen Robotergott bauen, der mit der Gemeinde auch sprechen kann, "der uns zu ergründen hilft, woher wir kommen, wohin wir gehen und wer wir sind".


Dass Roboter jetzt auch predigen, verwundert nicht. Die Vertreter der Weltreligionen haben sich neue Technologien schon immer zunutze gemacht. Der Papst sendet seinen Weihnachtssegen via TV und Radio aus. Muslime identifizieren Halal-Produkte per App. Im jüdischen Viertel von Jerusalem kann man Szenen aus der Tora per VR-Brille live erleben. Auch deutsche Kirchen experimentieren längst mit Roboterpriestern.

Manchen Gläubigen und Geistlichen ist so viel Technik nicht genehm; doch am Ende werden solch technische Hilsmittel den Glauben nicht groß verändern. Denn sie sind nur neue Ausdrucksformen der immergleichen Spiritualität. Die entscheidende Frage ist: Werden Robotik und künstliche Intelligenz auch die Struktur unseres Glaubens verändern?
Google-Mitgründer Larry Page, Oxford-Philosoph Nick Bostrom, oder MIT-Physiker Max Tegmark jedenfalls fragen sich inzwischen, ob wir mittels künstlicher Intelligenz aus Versehen neue Götter erschaffen könnten.

Im Silicon Valley wurde sogar schon eine entsprechende Religion gegründet: die Church of Singularity. Geleitet wird sie von Anthony Lewandowski, einem ehemaligen Uber-Ingenieur, der glaubt, dass bald eine zentrale künstliche Superintelligenz entsteht. Jene Super-KI werde sich weltweit mit allen Smartphones, Sensoren und W-Lan-Netzen verbinden, sagt Lewandowski oft in Interviews. Sie wäre einem Gott dann in der Tat ziemlich ähnlich, wäre allgegenwärtig, allwissend und allmächtig.

Wenn es gut läuft, dann würde uns eine solche Super-KI nach eingehender Big-Data-Analyse Antworten auf unsere tiefsten spirituellen Fragen geben. Wenn es nicht so gut läuft, könnten Sektierer Robotergöttern falsche Verheißungen einprogrammieren und versuchen, uns damit zu manipulieren. Und wenn es schlecht läuft, so wie es die Church of Singularity fürchtet, dann könnte irgendeine KI-Gottheit irgendwann beschließen, uns auszulöschen.
Solche Gedankenspiele, vor allem Letzteres, mögen albern klingen. Diskutieren sollte man sie trotzdem lieber. Denn der Einfluss von Religion auf gesellschaftliche Normen und politische Entscheidungen ist seit Jahrtausenden groß. Und die Heilsversprechen der Technik dürften bald noch größer werden. In einer ruhigen Wohngegend in Japans Hauptstadt zum Beispiel lässt sich der Tod bereits als Hightech-Trip erleben.





Im Nordwesten Tokios liegt ein Friedhof, auf dem LED-Buddhas statt Grabsteine stehen. Wer einen verstorbenen Angehörigen besucht, tritt in einen kühlen, nach Räucherstäbchen duftenden Raum, hält seine Chipkarte an einen Scanner und geht zur gläsernen Statue, die dann aufleuchtet.
Mehr als 2000 Verstorbene haben in dem kleinen Tempel Platz, ihre Urnen sind hinter den Buddhas verstaut. Die kompakte Bestattungsmethode ist einerseits eine Antwort auf Tokios Grundstückspreise, die inzwischen selbst Gräber immer unerschwinglicher machen. Andererseits baut der Tempel eine Brücke ins Reich der Toten.

"Buddhisten glauben, dass sich der kristallklare Kern eines Menschen zeigt, wenn man ins Licht blickt", sagt Zen-Mönch Yajima Taiyu, 38, der seit zehn Jahren Trauernde im Tempel empfängt. Die leuchtenden Buddhas sollen diesen Wesenskern symbolisch wieder lebendig machen.

Yajimas LED-Friedhof ist nur ein Beispiel für einen neuen Techniktrend. Japanische Geistliche experimentieren mit Methoden, um die Toten möglichst lebendig erscheinen zu lassen. Sie wollen zum Beispiel bald Hologramme von Verstorbenen erstellen, dreidimensionale Lichtwesen, die einfache, vorgefertigte Dialoge mit Angehörigen führen.

Im allerletzten Schritt könnte irgendwann das komplette Gehirn konserviert werden. Der Google-Manager Ray Kurzweil erwartet, dass wir bis Mitte des Jahrhunderts eine Art Backup davon erstellen werden. Hinterbliebene könnten dann endlos in unseren Erinnerungen herumstöbern. Es würde sich fast so anfühlen, als wären die Toten noch lebendig.

Der Robotergott Kannon aus dem Zen-Tempel in Kyoto wäre wohl gegen solche Verheißungen. "Wir klammern uns selbstsüchtig an die Vorstellung, dass wir ein unsterbliches Ich haben", sagte er in seiner Predigt noch. "Doch so etwas gibt es nicht."
Ewig sei einzig die große Leere. Die Leere eines Menschen, der alles loslässt. Und die Leere eines Roboters, der gar nichts erst festhält, weil er weder Zuneigung noch Liebe empfinden kann.
Zumindest bis jetzt.


Lesen Sie in Teil 2, wie ein japanisches Altersheim bald ohne menschliche Pfleger auskommen will.
Lesen Sie in Teil 3, warum es bald Robotergötter geben könnte.
Lesen Sie in Teil 4, was vom Menschen noch übrigbleibt, wenn wir den perfekten Androiden erschaffen.


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