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Dehnen bis der Arzt kommt

Wie man Verletzungen beim Yoga vermeidet

von Cornelia Baumermann

Herabschauender Hund, Vorwärtsbeuge und Kobra – Yoga gilt als Wohlfühlübung mit Erleuchtungspotenzial.

Nach einer aktuellen Erhebung des Berufsverbands der Yogalehrenden in Deutschland (BDY) praktizieren zurzeit rund 3,4 Millionen Menschen in Deutschland Yoga.


Im Vergleich zu anderen Sportarten gilt die indische Körperübungspraxis als Sport mit geringem Verletzungsrisiko, wenn man das achtsame Biegen, Dehnen und Beugen als solchen überhaupt bezeichnen will. Die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) klassifiziert Sportarten nach ihrem Verletzungsrisiko. Hier eine Auswahl:

Alles also im grünen Bereich? Nicht ganz!


Der in der Yogaszene bekannte Berliner Orthopäde und Yogatherapeut Günter Niessen, der viele Yogapraktizierende behandelt, wird recht deutlich: Er schätzt, dass 20 bis 30 Prozent seiner Patienten sich im und durch Yoga verletzen.

»Während Yoga Beschwerden des Bewegungsapparats lindern kann, wie jede andere Trainingsmethode auch, kann er aber auch selbst Schmerzen auslösen«, so Professor Evangelos Pappas von der Universität in Sydney. 2017 veröffentlichte er eine Studie, in der er und sein amerikanischer Co-Autor 354 Personen ein Jahr lang in einem New Yorker Yogastudio begleitet haben. Die Studie zeigt, dass sich bei 21 Prozent der Teilnehmer bereits bestehende Schmerzen durch die Yogaübungen verschlimmert haben. Bei rund zehn Prozent haben die Übungen die Schmerzen überhaupt erst ausgelöst. Eine Langzeitstudie, die von 2001 bis 2014 in den USA lief, untersuchte Yogaunfälle, die in Notfallkliniken behandelt werden mussten: insgesamt 29.590 Fälle.


Welche Körperregionen besonders häufig betroffen sind? Tippen Sie in der Grafik auf die Region, in der Sie das größte Verletzungsrisiko vermuten:

Oft ist es der untere Rücken, der schmerzt – akut oder chronisch. Orthopäde Niessen kennt das Phänomen. Häufig handelt es sich um Probleme im Iliosakralgelenk. Dieses wenig bewegliche Gelenk verbindet das Becken mit der Wirbelsäule. Die Ursache der Beschwerden: oft ehrgeizig praktizierte Übungen in Yogakursen, die für mehr Beweglichkeit in der Hüfte sorgen sollen.


Doch diese Übungen können schaden, wenn sie zu häufig trainiert werden. Sie destabilisieren diese Körperregion, so Niessen. Er empfiehlt daher eine Praxis, die kräftigend auf die umliegende Muskulatur wirkt.


Unbestritten aber ist: Yoga ist gesund. Er stärkt die Muskeln, hilft, sich zu entspannen; langfristig geübt ändern sich Gewohnheiten und Denkmuster. In den Präventionskatalog der Krankenkassen hat er ebenso Einzug gehalten wie in Reha-Kliniken. Und selbst die Wissenschaftler der New-Yorker-Studie raten nicht vom Yoga ab – im Gegenteil.

Laut einer 2014 im „International Yoga Journal” zitierten Untersuchung gaben weniger als ein Prozent der Studienteilnehmer an, wegen einer durch die Yogapraxis entstandenen Verletzung ihr Training aufgegeben zu haben.

Wie praktiziert man richtig, ohne sich zu verletzen?

Die Matte ausrollen


Den passenden Kurs finden.


Wer Yoga ausprobieren will, sollte zwei Dinge beachten: Zunächst den richtigen Kurs finden. 6000 Yogastudios und -schulen zählte die Online-Plattform Fitogram im Jahr 2016 in Deutschland. Yogastile sind oft nach ihren Gründern benannt, etwa Iyengar- oder Sivananda-Yoga. Sie reichen von Acro-Yoga, einer Verbindung aus Yoga, Thai-Massage und Akrobatik über Bikram-Yoga, einem Stil, bei dem in einem Raum bei Temperaturen um die 40 Grad Celsius praktiziert wird, bis hin zu Yin-Yoga, der auf langes Halten der Übungen setzt.


Der Yogamarkt teilt sich auf in traditionelle Yogaschulen, die einen ganzheitlichen Yoga lehren, und mehr fitnessorientierte Angebote, bei denen mehr Wert auf die körperlichen Aspekte gelegt wird.


In den meisten Kursen im Westen lehren Yogalehrer allerdings Hatha-Yoga, egal wie sich der Stil nennt. Mit Hatha-Yoga soll ein Gleichgewicht zwischen Körper und Geist erreicht werden. Yogis trainieren deswegen statische oder dynamische Körperübungen (Asanas), Atemtechniken und Meditation.


Die Asanas dienen im traditionellen Sinn dazu, die Aufmerksamkeit auf den Körper zu lenken. Sie unterscheiden sich somit von den allermeisten Formen der körperlichen Aktivitäten und werden nicht als Sport gesehen.


Der zweite Punkt: die Ausbildung des Yogalehrers. Yogalehrer ist kein geschützter Titel. Verbände wie der Berufsverband der Yogalehrenden in Deutschland (BDY) versuchen seit Jahren, einheitliche Ausbildungsstandards zu schaffen, und bieten Ausbildungen an.


Wie viele Stunden sollte die Ausbildung umfassen? Wie lange soll sie dauern? Das ist umstritten: Genügen beispielsweise 401 Unterrichtseinheiten in intensiven vier Wochen in der Basisausbildung in einem Sivananda-Yogazentrum oder soll die Basisausbildung mit 500 Unterrichtseinheiten besser auf zwei Jahre verteilt werden, wie beim BDY?


»Mir ist es wichtig, dass vor der Gruppe eine authentische Person steht, die sich völlig zurücknehmen kann und die Bedürfnisse des Einzelnen sieht«, sagt Ricke Peneranda, Leiterin des Yogastudios YogaMoves in Hamburg. »So kann sich jeder auf der Matte in einer sicheren Atmosphäre entspannt auf die Yogapraxis einlassen.« Wer bei ihr unterrichten will muss zusätzlich zu seinem Lehrerdiplom erst einmal ein halbes Jahr assistieren. Anschließend werden die Lehrenden noch weiter betreut.


Was kann jedoch der Yogaschüler selbst tun, um Verletzungen zu vermeiden?

Auf die gefährdeten Körperstellen achten


»Oftmals liegt es leider am Ehrgeiz, der gerade im Yoga keinen Stellenwert haben sollte«, sagt die bayerische Yogalehrerin Bettina Heß. Sie empfiehlt: eine individuelle Yogapraxis, die auf den Yogaschüler zugeschnitten ist.


Beim Yoga sollte es darum gehen, die eigenen Grenzen behutsam zu verschieben – statt sie einzureißen. Sportlicher Ehrgeiz ist eher kontraproduktiv.


Wo lauern also konkret Gefahren, und wie lassen sich Variationen finden?


Drei Beispiele, die fast in jedem Yogakurs praktiziert werden:

Für eine risikoarme Praxis braucht es nicht viel:



  1. Körperliche Grenzen anerkennen, vielleicht auch vor dem Besuch eines Yogakurses einmal zum Arzt gehen. Menschen mit Problemen an der Lendenwirbelsäule brauchen andere Variationen als solche, die an Bluthochdruck leiden.

  2. Eine individuelle Anpassung der Übungen einfordern, eventuell auf Hilfsmittel wie Bänder, Blöcke oder Decken zurückgreifen. Das gelingt in kleinen Gruppen und bei guten Lehrern am besten.

  3. Schwierige Übungen wie Kopf- und Schulterstand den Athleten überlassen. In großen Gruppen Asanas einfach weg- und den Ehrgeiz im Büro lassen.



Und überhaupt – Yoga ist weit mehr als extreme Gelenkigkeit. Die alten Yogaschriften, zum Beispiel die Yogasutras des Patanjali, eines indischen Gelehrten, der irgendwann zwischen dem 2. Jahrhundert vor und dem 4. Jahrhundert nach Christus gelebt haben soll, besagen: Yoga ist das Zügeln der Aktivitäten des Geistes.



DAS TEAM


Autorin: Cornelia Baumermann

Dokumentation: Michael Jürgens, Anna Kovac

Grafiken/Illustrationen: Cornelia Baumermann

Programmierung: Chris Kurt, Ferdinand Kuchlmayr

Animierter Aufmacher: Lorenz Kiefer

Redaktion: Jens Radü

Schlussredaktion: Fred Schlotterbeck