Denise Linke ist 26. Seit vier Jahren weiß sie, dass sie Asperger-Autistin ist. Vorher war sie einfach anders, wie ein Außerirdischer auf dem falschen Planeten. „Wrong Planet Syndrome“ wird Autismus daher auch genannt.

Denise nimmt ihre Umwelt völlig anders wahr als Nicht-Autisten oder NTs – neurotypische Menschen, wie sie Personen ohne Autismus nennt. Mimik und Gestik anderer Menschen werden für Denise schnell zum unlösbaren Rätsel. Wie sie den Code der NTs langsam entschlüsseln konnte, erklärt sie so:

„Oft stelle ich mir vor, dass es wohl keine Cafés oder gar Clubs gäbe, besäßen alle eine Wahrnehmung wie ich.“

Denise erfährt die Welt ohne Filter. Alle Sinneseindrücke sind gleich laut, gleich hell, gleich intensiv.

Und Denise denkt anders. Sie denkt visuell. Wenn andere jemanden sprechen hören, denkt Denise in Schrift. Wie das aussieht?

So kann ein einfacher Einkaufsbummel für Denise Linke zum Problem werden. Alles, was neurotypische Menschen ausblenden können, muss sie permanent verarbeiten.

Das kann anstrengend sein. Und sogar gefährlich werden. Wenn ihre Wahrnehmung sie überlastet, kommt es zum Overload:

„Kein Autist kann für alle Autisten sprechen.“

Es gibt so viele Ausprägungen von Autismus, wie es Autisten gibt. Bei Denise sind vor allem die visuelle Wahrnehmung und das Gehör besonders ausgeprägt.

Oft tritt Autismus auch mit Begleiterkrankungen auf – mit Tourette, Depressionen oder Zwangsstörungen. Oder mit ADHS – wie bei Denise.

Im folgenden Film erfahren Sie, wie Mediziner Autismus definieren – und wo sie dabei an ihre Grenzen stoßen.

Auch Denise lebte lange ohne Diagnose. Erst vor vier Jahren fragte sie ein Freund auf einer Party nach Asperger. Beide hatten sich die Ohren zugehalten, als draußen ein Krankenwagen vorbeigefahren war – während die anderen Gäste nichts bemerkt hatten:

„Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst.“ „Na, Asperger. Du hast doch auch Asperger.“

Eine Party als Schlüsselmoment. Ein Arzt bestätigt ihr kurz darauf den Verdacht: Autismus. Plötzlich ergibt alles Sinn. Denn schon als Kind war Denise auffällig.

In der Schule wird auf ihrem Zeugnis der sechsten Klasse positiv vermerkt, dass sie angefangen habe, mit den anderen Kindern zu sprechen. Denise zeigt ihre Kinderfotos:

„Entgegen dem gängigen Autisten-Klischee war ich ein ziemlich ruhiges Baby und schlief schon sehr früh die ganze Nacht durch.“

„Konventionen, wie dem Benutzen von Stühlen zum Sitzen und Tischen zum Ablegen von Dingen, habe ich mich noch nie gebeugt.“

„Den melancholischen Blick gewöhnte ich mir erst in meiner frühen Jugend an, als Mobbing plötzlich an der Tagesordnung war.“

„Mit 14 oder 15 entschied ich, dass es eine großartige Idee wäre, mich jeden Tag als Captain Jack Sparrow zu verkleiden. Leider war ich mit dieser Einstellung ziemlich allein.“

„In meinen späteren Teenager-Jahren schloss ich mich nach den Punks und Metalheads den sogenannten Alternativen an und hatte so etwas wie eine Jugend-Heimat gefunden.“

„Um bei meiner neuen Peergroup anzukommen, trug ich damals sogar Dreads.“

„Die Idee, ein Magazin für Autisten zu gründen, kam im Dezember 2013, gegen Mittag. Da war ich gerade unter der Dusche. Es heißt N#MMER. Das steht für das Klischee von Autisten als vermeintliche Zahlen-Freaks.“

„Um die Klischees in den Medien zu ändern, musste ich selbst ein eigenes Medium sein.“

Für ihr Magazin N#MMER lässt Denise ihre Leser über die schlimmsten Autismus-Metaphern abstimmen, berichtet über Eltern, die ihr autistisches Kind umbringen, und widmet eine Ausgabe vollständig dem Thema Liebe.

Sie will, dass das Magazin sowohl für Autisten als auch für NTs spannend ist. Und sie sagt, es solle nicht so aussehen wie „Oh, die Behinderten haben da mal was gebastelt“. Wie es Denise heute geht?

„Jeder hat das Recht, mich kacke zu finden.“

Manchen passt Denises offensiver Umgang mit ihrem Autismus nicht. In Foren wird sie anonym angefeindet.

Sie nennen sie eine Soziopathin, die den Autismus nur spielt, um Geld zu machen. Denise geht das nah. Denn sie sagt:

„Ich will die Realität für Autisten besser machen.“

Gerade ist die dritte Ausgabe von N#MMER erschienen. Jetzt arbeitet Denise an einem Buch über den Islamischen Staat.

Mit Autismus hat es nichts zu tun.

Impressum

Autoren, Dreh und Schnitt Martin Adam, Nina Klippel

Fotos Milos Djuric

Animation Arne Kulf

Panoramafoto Jürgen Schrader und Lorenz Kiefer

Programmierung Tobias Hellwig

Redaktion Jens Radü

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